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2. April 2020

Gastbeitrag: Mediaplan? Wo wir hingehen, brauchen wir keine Mediapläne.

Fernando Barbella, Mitglied des ADC und ECD von Fraser, mit einem Gastbeitrag. Die Industrie hat es immer als selbstverständlich erachtet, dass Botschaften und Kommunikation, die wir für Unternehmen und Marken erarbeiten, eine Chance haben, deren Kunden zu erreichen, sofern ausreichend Media Budget vorhanden ist. Aber was ist, wenn diese Regeln nicht mehr gelten? Ausnahmesituationen – wie aktuell die Corona Pandemie – stellen viele Unternehmen und Marken auf die Beweisprobe und zwingen sie dazu, einen neuen Blick auf ihre Strategie und insbesondere auf die Bedürfnisse ihrer Kunden zu werfen.

(Hinweis: Bevor sich jemand angegriffen fühlt: Ich bin mir im klaren, wie wichtig ein gut konzipierter und umgesetzter Mediaplan ist und wie die gesamte organische Reichweite im Internet im Jahr 2020 immer mehr zu einer urbanen Legende wird. Der Titel versucht, auf nette Art und Weise Aufmerksamkeit zu erregen) – *Und ja, ich beziehe mich auf ‚dieses‘ Zitat.

Lassen Sie uns als Ausgangspunkt eine kleine Zeitreise machen: Anschnallen, Marty, wir steuern auf das Jahr 2010 zu. New York City, die Google-Büros im Chelsea Market. Wir haben die Kategorie „Interaktiv“ der „One Show Awards“ ausgezeichnet. Intensive Sitzungen, stundenlanges Ansehen von Video-Cases, Debatten und der Versuch, das auszuwählen, was zu diesem Zeitpunkt den State of the Art der Werbebranche wiedergibt.

Damals war es noch wichtig, dass man „viralging“, wissen Sie. Daher endeten viele Video-Cases damit, dass die Erfolge bei der Umsetzung dieser Ideen in die Praxis auf vielfältige Weise gemessen wurden (obwohl, um klar zu sein, im Rahmen der One Show die Ideen nach ihrer Originalität, Wirkung, Innovation, Kreativität und Ausführung beurteilt wurden, nicht nach ihren Erfolgen).

Viele Case Studies schlossen mit einer besonderen Hervorhebung der umfangreichen Konversationen und Reaktionen, die mit „Zero Media Spent“ generiert wurden. Während der ersten zwei Tage der Auswertung der Beiträge war dieser Eindruck so deutlich, dass er zumindest für die Mitglieder der Jury zu einem Meme wurde. Wir starteten sogar „zeromediaspent.com“ und versuchten, mit der besagten URL ein paar Lacher zu ernten.

OK, das ist die bisherige Story. Wichtig ist, dass wir damals, abgesehen davon, ob wir glaubten oder nicht, dass nichts für Media ausgegeben wurde, die Ehre und da Vergnügen hatten, Kampagnen und Ideen zu sehen, bei denen klar war, dass –glücklicherweise in den meisten Fällen – die Macht der Ideen den Mangel an Geld für einen Mediaplan ausgleichen würde.

Die Macht der Ideen gleicht den Mangel an Geld für einen Mediaplan aus.

Lassen Sie mich eine Phantasieübung vorschlagen: Was würde passieren, wenn Sie vor der nächsten Kampagne, auf die Sie sich einstellen und an der Sie arbeiten müssen, aus irgendeinem Grund (irgendein Zaubertrick, ein Betrug, ein Dieb, ein Hacker, was auch immer) feststellen, dass das Budget, das für den Kauf von Medien (was auch immer das ist, von einer Out-Of-Home-Plakatwand bis zu einem gesponserten Social-Media-Post, von den Honoraren einer Gruppe von Influencern, bis zu 20 Sekunden in der Hauptsendezeit des Fernsehens) vorgesehen war, vollständig verschwunden ist? Ja, genau, für immer weg. Es gibt jetzt NULL dort, wo vorher eine Zahl stand.

Also… wen werden Sie anrufen? Was werden Sie tun, um irgendein Publikum zu erreichen, ohne Spaces oder Momente zu kaufen, welche ihre Experiences unterbrechen? Was wird nun passieren, da kein Geld mehr verfügbar ist, um in die Spaces, Plattformen und Endorsements anderer zu investieren?Willkommen im Internet-Zeitalter und der Kultur, die es geprägt hat. Lassen Sie uns wieder eine Zeitreise machen. Wir haben jetzt das Jahr 1995. Dies ist das Niemandsland. Niemand sponsert Beiträge in den Sozialen Medien, weil sie noch nicht erfunden wurden, und das Konzept eines Banners ist etwas, das noch abzuwarten bleibt. Auf den Straßen gibt es keine digitalen Anzeigen, „On-Demand-TV“ bedeutet, dass man mit der Fernbedienung zappen muss, und die einzige Möglichkeit, ein Online-Video zu zeigen, ist das Anhängen einer massiven und ziemlich niedrig aufgelösten .MOV-Datei an eine E-Mail.

Willkommen im Internet-Zeitalter und der Kultur, die es geprägt hat.

Kommen Sie, springen Sie in meinen imaginären DeLorean: Lassen Sie uns hier und da anhalten und einige populär kulturellen Meilensteine besuchen, die sich in den letzten Jahren dank und über digitale Plattformen ereignet haben:

http://www.milliondollarhomepage.com/

Erste Station: das Jahr 2005. Ein 21-jähriger Student aus Wiltshire, England, hat die „Million Dollar Homepage“ konzipiert. Die Idee war einfach, nie zuvor gesehen und fast kaum zu glauben: 1 Million Pixel zu verkaufen, ein Dollar pro Stück. Die Seite wurde zunächst nur durch Mundpropaganda vermarktet, dann, nachdem die Seite 1.000 Dollar eingebracht hatte, wurde eine Pressemitteilung verschickt, die von der BBC aufgegriffen wurde. Von dort aus wurde sie zu einem weltweiten Erfolg. Zero media spent.

www.kickstarter.com

Nächste Station: 2009. Bevor Crowdfunding ein Thema war, wurde ein 35-Dollar-Projekt voll unterstützt, der erste erfolgreiche Kickstarter überhaupt. Die Plattform hat die Führung für die Neuerung der Investitionsform und der Unterstützung von Projekten übernommen. Die Erfolgsquote der vollständigen Finanzierung eines Projekts auf der Crowdfunding-Website liegt bei 36,4 Prozent. Und das alles, wieder einmal ohne Mediengelder. Allein durch das echte Interesse und die Aufmerksamkeit, die die Projekte hervorrufen, haben Tausende von Kreativen ihr Publikum aus der ganzen Welt erreicht.

PSY - Gangnam Style

2012 veröffentlichte der südkoreanische Musiker Psy seine 18. K-Pop-Single mit dem Titel „Gangnam Style“. Dank der Mund-zu-Mund-Propaganda und Memes aus der ganzen Welt gingen der Song und sein Musikvideo im August 2012 viral und beeinflussten die Popkultur weltweit. Sein Video wurde das erste YouTube-Video, das eine Milliarde Aufrufe erreichte.

@world_record_egg

Zu guter Letzt wurde letztes Jahr, am 4. Januar 2019, der @world_record_egg Instagram-Account erstellt und ein Bild eines Vogeleis mit der Überschrift “ Lasst uns gemeinsam einen Weltrekord aufstellen und den beliebtesten Beitrag auf Instagram posten. Den aktuellen Weltrekord von Kylie Jenner (18 Millionen) brechen! Wir schaffen das“. Bis jetzt hat dieser Beitrag über 55 Millionen Likes gesammelt und das Konto hat mehr als 7 Millionen Follower.

Was haben alle Beispiele gemeinsam? Keines dieser globalen Events brauchte oder verwendete Mediabudgets. Aus welchem Grund auch immer (weil der Vorschlag so originell war, wegen seiner Relevanz, weil er mutig oder wirklich innovativ war, weil er den Unsinn des Internets selbst aufgriff, oder weil er eine Sichtweise oder eine bestimmte Meinung vertrat, anstatt für alle attraktiv sein zu wollen) haben sie mit ihrem Vorschlag eine große Anzahl von Menschen positiv beeinflusst und sind zu unwiderstehlichen Magneten der Aufmerksamkeit geworden.

Ohne die Message immer und immer wieder zu wiederholen, ohne die Nutzer zu unterbrechen, ohne ihre Intelligenz zu missbrauchen und indem man ihre Zeit und Aufmerksamkeit respektiert, die Besonderheiten des Ortes und des Moments, an dem die Message oder die Experience gezeigt wird, versteht.

Heutzutage ist es durchaus üblich, zu hören, dass die Menschen unaufmerksam sind, dass die Aufmerksamkeitsspanne sehr gering oder fast null ist, dass die Nutzer Multitasking unterwegs sind, und viele andere Ausreden, um zu rechtfertigen, wie schlecht die Ideen sind, die wir normalerweise vor das Zielpublikum bringen, und dass viel Geld in die Medien investiert (oder ausgegeben?) werden muss, um diese Botschaften einer kritischen Menge von Menschen auszusetzen, die sich normalerweise nicht aus eigenem Willen entschieden haben, diesen Botschaften ausgesetzt zu werden.

Was wäre, wenn wir uns wirklich bemühen würden,  Nutzer zu respektieren anstatt sie zu Tode zu langweilen?

Nach meiner bescheidenen Meinung wissen wir als Nutzer vieler dieser Plattformen nach fast 25 Jahren der massiven Einführung und Nutzung des Internets und der verschiedenen Plattformen, die sich herausgebildet haben, ganz klar, was gut und was schlecht ist, was uns wirklich interessiert und wo und wie wir es finden können, unabhängig von dem Mediabudget, das eine bestimmte Marke nur nutzen möchte, um uns zu ärgern und zu unterbrechen. Was wäre, wenn wir uns wirklich bemühen und versuchen würden, herauszufinden, wie wir uns selbst – und andere – als Nutzer respektieren können, wie wir Menschen überraschen können, anstatt sie zu Tode zu langweilen, und wie wir etwas machen können, auf das wir wirklich glücklich und stolz sein können? (Ziemlich ähnlich wie damals, als Doc Emmet Brown herausfand, wie man in der Zeit reisen kann).

Mehr zu Fernando Barbella hier:

linkedin.com/in/fernandobarbella

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