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Steffen Vetterle hat als Kreativdirektor die diesjährige Kampagne für das ADC Festival geschaffen. Das Motto "The Power of No - For a new Diversity of Thinking" ist nicht nur ein Statement und fordert klare Haltungen, es benötigt eine klare visuelle Kommunikation. Im Interview erklärt Vetterle, welche Elemente er in der Kampagne aufgegriffen hat und wie er mehr Bewusstsein – auch über das Design hinaus – schaffen möchte.
Zuallererst: Du in 3 Worten?
So spontan vielleicht: leidenschaftlich, kommunikativ, lernbegierig.
Aber alles nicht so megaernst und verbissen, sondern mit einer starken Prise von Spiel und Humor. Definitiv nicht nur kopf- sondern stark bauchgesteuert. Arbeitszeit bedeutet Lebenszeit für mich. Das ist mir bei der Arbeit mit und gegenüber Menschen auch wichtig, die Zeit nicht mit negativen Stimmungen zu vergeuden, sondern Inspiration und Spaß zu haben, mit Respekt an die Aufgabe heranzugehen, sich aber nicht zu verkrampfen.
Du bist Kreativdirektor und Kommunikationsexperte. Wie kam es dazu? Fließt schon immer kreatives Blut durch deine Adern oder wolltest du eigentlich Pilot, Klempner oder Hundezüchter werden?
Im Nachhinein wirkt alles sehr linear und offensichtlich, wobei es an manchen Lebenspunkten durchaus sehr viele Eigenzweifel an diesem Weg gab, was ich auch offen zugebe.
Das ich was „Kreatives“ machen will, war mir spätestens im Alter von 16 oder 17 Jahren klar, damals stand ich zwischen der Entscheidung Freie Kunst / Bilder malen oder Kunstvermittlung, also Kunstgeschichte zu studieren. Es entwickelte sich dann daraus das Ziel und der Traumberuf „Kurator“, da mich Texte und Wissen sehr interessieren. Nach Abi und Zivildienst hatte ich das Glück als Kuratorenassistent ein halbes Jahr am Württembergischen Kunstverein Stuttgart (verhandeln wirklich seit Jahrzehnten relevante, zeitgenössische Künstler und Themen) zu arbeiten und bekam hier viele Einblicke in die dramaturgische und inhaltliche Verteilung von künstlerischen Positionen und deren Vermittlung. Habe mich dann sehr bewusst trotz anderer Möglichkeiten für die FH Merz Akademie in Stuttgart entschieden. Ja, leider Stuttgart, wollte eigentlich was Neues sehen, aber spätestens nach 3 Semestern wurde mir bewusst, dass es eine goldrichtige Entscheidung war. Ich lernte dort – namentlich genannt durch Kulturtheorethiker und Gestalter wie Diedrich Diedrichsen, Helmut Draxler, Stephan Gregory, Christoph Dreher, Joost Bottema –, wie man kritisch an Themen herangeht, andere Fragestellungen und Zugänge erarbeitet, daraus eine „vernünftige“ konzeptionelle Richtung entwickelt und zu einer adequaten Umsetzung findet. Schlussendlich habe ich im Studium auch den Mut gefasst, selbst als Gestalter/Autor aufzutreten und meine Stimme zu erheben und nicht nur Dinge anderer zu beschreiben. I can do! Und: it works very well!
Das Motto des diesjährigen ADC Festivals lautet „The Power of No – For a new Diversity of Thinking“. Wozu hast du zuletzt „Nein“ gesagt?
… und dieses Motto liegt mir sehr am Herzen; ich kann mich bestens damit identifizieren. Und so agiere ich auch sehr oft, nicht harsch, sondern… ja, ich kann so eine „vernünftigere“ Richtung auch mit Charme, Argumenten und wenn es sein muss, mit klaren Ansagen vermitteln und im Sinne des Projektes erreichen. Nicht immer, aber es klappt doch eher öfter. Es ist manchmal nicht einfach, den No-Turn in Projekten zu erreichen. Aber man muss hartnäckig bleiben, immer an die Idee glauben, manchmal muss man die „kleine“ Kröte auch schlucken, solange die große Idee nicht abhanden kommt. Das Motto erreicht hoffentlich ein größeres Bewusstsein bei allen Playern im kreativen Prozess – Auftraggeber, wie Auftragnehmer – nicht angst- und sicherheitsgetrieben Projekte anzugehen, sondern Mut zu zeigen. Das geht nicht von heute auf morgen, aber man muss es kontinuierlich und nachdrücklich kultivieren.
Das Motto erreicht hoffentlich ein größeres Bewusstsein bei allen Playern im kreativen Prozess
Darüber hinaus sollen die Aussagen der Kampagne auch aus dem Designkontext hinaus gehen und jedermann auf der Straße ansprechen. Das wäre natürlich cool, wenn über die ADC Kampagne und das Festival ein etwas größerer, zeitgenössisch relevanter Diskurs ausgeht.
Es gab genügend Momente in meiner beruflichen Laufbahn, wo ich nicht das Gefühl hatte, am nächsten Tag noch in den Spiegel schauen zu können… Um das zu vermeiden, habe ich Haltung und Standpunkt geäußert und bin meinen Weg gegangen. Man muss bei sich selbst bleiben.
Für das ADC Festival hast du die Kampagne designt. Wie gehst du einen kreativen Prozess an?
Emphatie und Interesse, den Kunden – die Menschen verstehen, recherchieren, so weit es geht umfassende Kenntnis vom Thema erlangen, mit anderen Menschen sprechen. Offen sein. Inhalte in eine nachvollziehbare Form übersetzen, ein Ziel entwickeln, nachdenken, Respekt, Spaß, auf den Bauch hören, Meinungen von anderen einholen, mit dem Kunden schulterblicken, Kritik annehmen, entwickelte Dinge nochmals mit Abstand betrachten, sich selbst nicht zu wichtig nehmen, nachjustieren, weitermachen, anschauen, überzeugt sein, fertigmachen. Wenn mal alles fertig ist, die Sache offen und ehrlich kommunizieren.
Dann heißt es, hinter der Sache stehen und überzeugt rein in die Präsentation und das Projekt gehen. Im Grunde machen wir Designer strategische und gestalterische Unternehmungsberatung.
Würdest du das auch deinen Studierenden an der Hochschule Pforzheim raten?
Macht es, macht es aber bitte anders als ich! Im Ernst, so ähnlich gehe ich vor. Was oben sehr entropisch und zufällig daherkommt, vermittle ich den Studenten und auch den Kunden in einem schematischen, klar nachvollziehbaren Prozessstufenmodell. Arbeite strukturiert und konzentriert. Was ich von den Studenten erwarte sind: Emphathie, Recherche, Nachdenken und Durchdringen des Themas, neue Fragestellungen erarbeiten, die Entwicklung eines nachvollziehbaren Konzeptes, vor allem einer Zielformulierung und die entsprechenden kommunikativen Maßnahmen in den nächsten Steps auszugestalten und umzusetzen.
Die Studenten haben das Privileg „Studium“ und den Schutzraum Hochschule, um ganz vieles Neues auszuprobieren und auch scheitern zu dürfen. Ich gehe mit meinen Studenten überwiegend mit den Projekten in den öffentlichen Raum und möchte hier die Auseinandersetzung mit Design auch anderen, bildungsferneren sozialen Gruppen nahe bringen. Die Studenten haben in den letzten Semestern dabei wahnsinnig geile Projekte auf die Straße gebracht!
Was hat dich zur Kampagne inspiriert?
Nun, zum einen meine Interpretation des Zeitkontextes, welcher mehr und mehr politisch wird, Haltungen hervorruft aber auch fordert, wie lange nicht mehr. Überspitzt dargestellt mit den gegenpoligen Figuren Donald Trump & Greta Thunberg. Unsere „globalisierte“ Zeit ist ungreifbar und eigentlich unfassbar. Es stehen uns unendliche Möglichkeiten offen, jedoch scheint sich gleichermaßen Angst und rückschrittliche Abgrenzung breit zu machen. Polemik, Politics of Fear und Fake vs. Hoffnung und Übernahme von Verantwortung. Dann haben mich die Vorträge beim ADC Kongress 2019 von Volkwin Marg, Marija Aljochina von Pussy Riot und Jonathan Meese besonders beeindruckt. Alle drei haben Unterschiedliches vermittelt, aber deren Grundaussage war die gleiche: „Leute, habt mehr Mut, eigene, unbequeme Wege zu gehen, Haltung zu beziehen.“
„Leute, habt mehr Mut, eigene, unbequeme Wege zu gehen, Haltung zu beziehen.“
Bei der Erarbeitung des Konzepts zur Kampagne war ich dann schnell bei dem von mir sehr respektierten Joseph Beuys und daraus folgend bei ADC Ehrenmitglied Christoph Schlingensief. Beide haben – salopp gesagt –, versucht, ein Verständnis dafür zu entwickeln, das Gestaltung politisch und sozial verantwortlich sein kann. Durchaus anarchistisch und quer gedacht, aber eigentlich in einer systemstärkenden und gestaltgebenden Art. Oft als Provokation geäußert und leider auch so abgetan. Mir geht es bei der Kampagne darum, dass sich der ADC dieser sozialen Verantwortung bewusst ist, dies auch kommuniziert und mit der Kampagne 2020 „The Power of No“ zum wirklichen Nachdenken anregt.
Ich sehe meine Berufung als Designer sehr idealistisch; so ein bisschen „Weltverbesserer“ steckt in mir. Eigentlich steckt dieses Gen in nahezu jedem Designer – unterschiedlich stark ausgeprägt. Man kann es auch als „No“ bezeichnen, wobei Nein-Sager nie einen einfachen Stand und ein einfacheres Leben haben.
Versucht, ein Verständnis dafür zu entwickeln, das Gestaltung politisch und sozial verantwortlich sein kann.
Nun zu den gestalterischen Elementen auf dem Plakat. Wie hast du das „Nein“ und die „Power“ auf dem Plakat visualisiert?
Als Erstes sind nach den vorangegangenen Überlegungen, den Beuys und Schlingensief-Plakaten/Schildern… die Slogans entstanden. Die sind wie im Fluss echt schnell entstanden. Dann habe ich die Aussagen „verikonisiert“, also aus Buchstaben, Bildaussagen entwickelt… das waren die ersten Ansätze. Im Zuge meiner Recherche zu Demonstrationen und Revolutionen fiel mir außerdem auf, dass bei Protesten in Hongkong Regenschirme, in Argentinien Lametta, bei Black Panther die Faust, etc.. eingesetzt werden. Also bringt jede Revolution ihr Icon und fast schon ihr eigenes, freies „Corporate Design“ hervor.
Wie nun mit all dem gestalterisch umgehen? Ob ich die Aussagen negativ oder positiv abbilde, ob ich den Hintergrund und Icons wichtiger mache oder zurücknehme? Wie kommen anarchistisch anmutende, analoge Elemente, wie Copy- oder Papierstrukturen, Kratzer etc. hinzu? Da niemand die Zukunft vorhersagen kann, fiel mir als Metapher eine Kristall- oder Weihnachtsschneekugel ein, welche grob den Inhalt sehen lässt, man muss schütteln, Schnee und Glitzer verdecken ihn, etc.
Ich wollte dieses „bewegt“ zu denkende Leitbild der Schneekugel auch in der Umsetzung bewegt haben. Also ein oder mehrere animierte Plakate. Hierzu habe ich bereits im Pitch mit meinem Ex-Studenten aus Pforzheim – Jan Hubl aka zwischendrunter – der nun Motion Design an der Filmakademie Ludwigsburg studiert, zusammengearbeitet. Er übertrug die Typo und Welten in Animation und verleiht dadurch dem Ganzen eine eigene Note. Unterm Strich erreicht dadurch die Kampagne aber nochmals eine viel höhere Qualitätsstufe.
Die Elemente der Schneekugel habe ich in die Gestaltungsmittel übersetzt. Der Schnee versinnbildlicht sich für mich in den Razzle-Dazzle-Camouflages oder Patterns, welche den Blick auf die Protesticons und die Hoffnung verstellen. Im Zuge des kreativen Prozesses wurde ich bunter, abstrakter und die kontrastigen, schwarzen Camouflages/Patternswolken verschwanden. Das hat sich aus dem Gestaltungsprozess ergeben und ja… ich interpretiere es so, dass wir die Reise durch die Schneekugel mit dem ADC beschreiten, durch unklare Tiefen gehen und in einer hoffentlich bunten, vielfältigen Zukunft landen.
Jede Revolution bringt ihr Icon und fast schon ihr eigenes, freies „Corporate Design“ hervor.
Und warum die Quietscheente?
Es gab vor einigen Jahren in Russland eine Sneaker- und Quietschentchen-Revolution gegenüber dem unlauteren Geschäftsgebahren des russischen Ex-Ministerpräsidenten Medwedew. Er liebt es anscheinend teure Sneaker zu tragen und einen Teich mit noch teureren Enten auf einem seiner Landsitze zu unterhalten. Die demonstrierenden Menschen haben also Sneaker und Quietscheentchen als Protesticons erkoren und das Fuckfinger-Entchen hat dann in meine Gestaltung gefunden.
Worauf freust du dich rund um das ADC Festival 2020 – wen oder was erwartest du mit Spannung?
Es ist einfach nur großartig und ehrenvoll die diesjährige ADC Kampagne gestalten zu dürfen; ich werde die Tage im Mai einfach genießen und soviel wie möglich erleben, bekannte, geschätzte Menschen wiedersehen, neue Menschen, coole No-Projekte, neue Insights und Gedanken kennenlernen. Ich fühle mich fast so, als ob es „mein“ Festival, mein Baby ist. Bin gespannt, wie die Kampagne angenommen und vor Ort inhaltlich ausgerollt wird. Wir dürfen uns auf einiges freuen, ich persönlich auch auf eine neue Rolle als Juror. Puh, ich freue mich einfach auf die Zeit im Mai in meiner gefühlten Heimatstadt Hamburg. Punkt.
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