Sabina Hesse
27. Februar 2020

The Roaring Twenties Reloaded ?

Sabina Hesse ist seit 2019 Kreativdirektorin bei TBWA / Media Arts Lab in Los Angeles und ist mitverantwortlich für die kreative Kommunikation bei Apple. Bereits in Deutschland bewies sie ihr exzellentes Gespür für Marken und ihre visuelle Kommunikation, und wurde mehrfach für ihre Arbeit prämiert. Sabina stellt sich unseren Fragen zum neuen Jahrzehnt und beschreibt, welche Impulse Kreative setzen können, um Innovationen voranzutreiben.

Die Roaring Twenties waren ein Jahrzehnt der kreativen Explosion, unter anderem ausgelöst durch die völlig neuen Massenmedien Kino und Hörfunk. Werden die 20er im 21. Jahrhundert eine vergleichbare Entwicklung für die Kreativität auslösen?

Auslösen? Dieses Erdbeben ist schon seit einigen Jahren in vollem Gange. Die neuen digitalen Plattformen haben eine spielerische Welt eröffnet, die es unglaublich vielen Leuten möglich macht, selbst kreativ zu werden. Es gibt einen Typ in New York City, der mit einem Pappschild an einer Straßenecke jeden Tag doppelt so viele Menschen erreicht, als eine TV-Serie wie Germany’s Next Topmodel.

Und was bedeutet das für die Kreativbranche?

Wie heißt es immer im Film, wenn die Verfolger auftauchen? „Leute, wir bekommen Gesellschaft“. Als Branche stehen wir nicht mehr nur untereinander in Konkurrenz um Beachtung, sondern dürfen mit unzähligen Instagram Accounts, Memes, Twitterperlen und Influencern um die Aufmerksamkeit unseres Publikums buhlen. Ich denke: Anstatt zu versuchen mit den kreativen Schaffern dieser Accounts zu konkurrieren, sollten wir das Phänomen umarmen, indem wir Tools für sie entwickeln mit denen sie ihre Kreativität noch besser entfalten können. Die Zeiten, in denen wir den Menschen etwas erzählen können und sie uns brav zuhören, sind vorbei. Wir müssen ihnen etwas geben. Nebenbei bringt das Ganze übrigens ein gutes Maß an Bescheidenheit in die Werbung, da begabte Kreative schon lange nicht mehr unbedingt einen Job in unserer Branche anstreben.

Die Zeiten, in denen wir den Menschen etwas erzählen können und sie uns brav zuhören, sind vorbei.

Die neue Sachlichkeit in Kunst, Architektur und Literatur; die Welt so sichtbar machen, wie sie ist – das brachten die goldenen 20er in Deutschland. Heute sprechen wir von einer neuen Hysterisierung der Menschen. Was folgt daraus für Kommunikatoren, aber auch Designer und Künstler?

Sich bloß nicht verrückt machen lassen! Die Neigung zu Empörung und Hysterie gab es schon immer in westlichen Gesellschaften. So sehr man eine größere Verantwortung trägt, keine missverständlichen Botschaften zu senden oder niedere Instinkte anzusprechen, so wenig sollte man jede Idee glatt lutschen aus Angst vor dem Twittermob.

Welches sind die Diskurse, die Kreative heute – passiv oder aktiv – prägen, welches sind Impulse, die als Inspiration oder Antrieb wirken?

Kann meine Markenbotschaft wirklich Gutes in der Welt bewirken? Können wir unsere Reichweite nutzen, um nachhaltige Trends zu verstärken? Können wir die sein, die für den Anfang eines Umbruchs gesorgt haben, der dringend notwendig war?

Kann meine Markenbotschaft wirklich Gutes in der Welt bewirken?

Geschichte manifestiert sich in (Erinnerungs-)Orten – allzu oft auch in Personen. Mit welchen Orten wird man das neue Jahrzehnt in der Zukunft assoziieren? Sind es anstelle des Admiralspalasts oder der Ballhäuser digitale Räume? Wird es ein neues Bauhaus geben?

Es wird mehrere Ballhäuser geben so wie es mehrere legendäre Clubs in Berlin gab, die eine Ära geprägt haben. Bald wird man darüber sprechen, dass man ja damals auf Snapchat war bevor es Snap hieß. Es gibt schon jetzt eine Vine Generation – eine kurze, hochkreative Phase vor dem Aufstieg von Instagram, die in Erinnerung bleibt für jeden, der sich erinnern will.

Welche City wird der Meltingpot der Ideen und der Kreativität? Welche Genies zeigen sich bereits jetzt am Horizont?

Ich denke, auch 100 Jahre später ist es noch immer New York City.

Und was können wir Kreativen tun, damit Innovation und exzellente Kommunikation auch weiter mit „Made in Germany“ verbunden wird?

Sich international inspirieren lassen. Den Horizont soweit wie nur irgend möglich erweitern. Und jeden Tag das Beste geben von dem, was man gerade ist.

Und jeden Tag das Beste geben von dem, was man gerade ist.