„So Future“ – Erfolgreicher Auftakt für den ADC Creative Club Hamburg
Mit rund 250 Besucher*innen und 8 Präsentationen von Talents, Live-Musik...
Zensur mit Musik hacken? Selbst in Ländern, in denen sehr starke Medienzensur vorherrscht, sind international bekannte Music-Streaming-Dienste wie Apple Music oder Spotify frei verfügbar. Aus diesem Insight hat Reporter ohne Grenzen gemeinsam mit der DDB Group Germany am Welttag gegen Internetzensur ein „digitales Schlupfloch für die Wahrheit“ geschaffen: The Uncensored Playlist.
Für den Case, der weltweite Aufmerksamkeit für das Thema Internetzensur schaffte, verlieh die ADC Jury den Grand Prix im Fachbereich Film und Ton an die DDB Group Germany als Leadagentur. Im Interview erklärt Kreativdirektor Patrik Lenhart (DDB) den ganzen Hintergrund zum spannenden Projekt.
Wer steckt hinter dem Case, der weltweit Awards eingeheimst und im ADC Wettbewerb 2019 einen Grand Prix einräumte? Stellt ihr euch kurz vor?
Als die Idee entstand, waren mein Partner Felipe Cury und ich (Patrik Lenhart) Senior Creatives im Team von Gabriel Mattar (damaliger GF Kreation), Ricardo Wolff (damaliger CD) und Bianca Dordea (GF Beratung) bei DDB Berlin. Ausgangspunkt war eine Session mit unseren Junior Placements Evandro Scudeler und Lis Ferreira. Felipe und ich bildeten anschließend den Projekt-Lead für unser Uncensored-Team bestehend aus Marco Lemcke, Jack Christensen (Kreation) und Sarah Bensel (Beratung). Alles unter Leitung unseres CCO Dennis May. Unsere Freunde Lucas Mayer und Iris Fuzaro von DaHouse Audio bereisten die Länder und schrieben die Songs. Sascha Gerlach schnitt die Musikvideos. Daniel Schmidthäussler war unser Kontakt bei Reporter ohne Grenzen.
Wie kamt ihr auf diese so simple, aber geniale Idee, zehn zensierte Texte in zehn unzensierte Popsongs zu verwandeln?
Reporter ohne Grenzen beauftragte uns mit einer Idee anlässlich des anstehenden Welttags gegen Internetzensur. Wir waren uns einig, dass wir gerne mehr machen wollten als bloß eine Kampagne. Wir wollten eine Aktion gegen Zensur initiieren. Felipe, Evandro, Lis und ich hatten eine Creative Session zu diesem Thema: Es waren viele erste Gedanken im Raum. Lis und Evandro pitchten einen Insight von einem weltbekannten Bilddienst, der in einem Land erlaubt ist, in dem fast alle anderen Bilddienste verboten sind. Felipe und ich hatten gerade darüber gesprochen, wie man Spotify-Playlists kreativ nutzen könnte. Da dachten wir: Wo sind Music-Streaming-Services eigentlich überall erlaubt? Wenn Popmusik-Streaming auch dort erlaubt ist, wo es keine Pressefreiheit gibt – dann müssen Journalisten einfach zu Musikern werden.
So kam uns die Idee, Streaming-Services als „Schlupflöcher“ für zensierte Artikel zu benutzen.
Von da an waren wir alle ziemlich begeistert. Auch unser Kunde. Den Hashtag #truthfindsaway hatten wir nach zehn Minuten – weil sich alles wahnsinnig zwingend angefühlt hat.
Wie lief der Kreationsprozess genau ab?
Felipe und ich hatten beide Kontakte zu Musikern und wir fragten mal theoretisch an, wie kompliziert es ist, Tracks auf Spotify und Co. zu kriegen. Antwort: nicht sehr kompliziert. Dann haben wir uns mit unserem Kunden Daniel Schmidthäussler von ROG getroffen und ihm die Idee gepitcht. Er war sofort begeistert. Wir haben unseren Kumpel Lucas Mayer von DaHouse São Paulo angerufen, den Felipe aus seiner Zeit in Brasilien kannte, und ihn gefragt: Kannst du zensierte Artikel zu Popsongs machen und sie in China, Ägypten und Co. auf die Streaming-Services kriegen? Seine Antwort: „This is amazing, guys. Let’s do it. Count on me!“ Lucas und Iris bereisten die restriktiven Länder und kollaborierten mit über 50 lokalen Musikern. Um jeden Song für die Menschen vor Ort so fassbar und relevant wie möglich zu machen. Unsere Produktionsteams und Journalisten waren über die ganze Welt verteilt. Wir bündelten alles in Berlin und brachten die Playlist zusammen. Marco kümmerte sich mit MediaMonks um die Website. DaHouse Audio sorgte dafür, dass die Songs über das Fake-Label ROG Music auf die Streaming-Services geschleust wurden.
Wie habt ihr die Journalisten zusammengeholt? Gab es Reaktionen, die euch besonders überrascht haben?
Insgesamt war unser Kunde Daniel Schmidthäussler sehr nah am Kreativteam. Jack, Marco, Felipe und ich haben uns bei der Produktion eng mit ihm abgestimmt. Die Journalisten kamen aus fünf Ländern, die wir zusammen mit Daniel ausgewählt haben. Daniel hat die Journalisten zusammengeholt und jeden Artikel kuratiert. Gemeinsam mit Lucas Mayer und Iris Fuzaro haben wir Interviews mit jedem Journalisten geführt. Überrascht hat uns die Bereitschaft aller Journalisten. Es gab kein Zögern, keine Furcht. Menschen, die ins Exil flüchten mussten, deren News-Websites von Regierungen gesperrt wurden, waren sofort bereit weiterzukämpfen. Ich glaube, die Power dieser fünf Journalisten hat uns alle wahnsinnig motiviert.
Die Songs sind als „Uncensored Playlist“ auf gängigen Music-Streaming-Plattformen zu finden. Wolltet ihr damit die Streaming-Dienste politisieren? (Warum) sind sie auch für solche Inhalte vielleicht genau die richtigen Plattformen?
Nein, es geht hier überhaupt nicht um die Streaming-Dienste. Es ging um Internetzensur und darum, ein Zeichen zu setzen. Music Streaming ist natürlich großartig für dieses Thema, weil Popmusik schon immer ein Medium für die Redefreiheit war. Jetzt wird es zu einem digitalen Schlupfloch. Music Streaming erreicht wahnsinnig viele Menschen. Unsere Artikel erreichten bis dato viel zu wenige Menschen. Das hat auf allen Ebenen sehr gut gepasst.
Wohin bewegt sich die Kreativbranche? Liegen CSR-Themen im Trend? Wie schätzt ihr das ein?
Ich glaube, es passiert gerade einfach sehr viel. Auf einmal wird die Angst um Pressefreiheit auch in der westlichen Welt erlebbar. Auf einmal merken wir am eigenen Leibe, dass es weniger Schnee und heißere Sommer gibt. Es ist einfach unmöglich für Unternehmen, sich dem nicht zu stellen. Verantwortung wird glücklicherweise allgegenwärtig. In deiner Hipster-Pizzeria trinkst du jetzt aus trockenen Makkaroni anstatt aus Plastikstrohhalmen. Verantwortung kommt überall an. Also ja, vielleicht sind gesellschaftliche Themen ein Trend. Aber eben einer, der bitter nötig ist.
Werden die Ursprungstexte durch die Vertonung in Popsongs nicht auch verharmlost?
Verharmlosen trifft es nicht, eher „vereinfachen“. Das Großartige an Popmusik ist doch, dass sie mehr Menschen erreicht als viele andere Medien. Mehr als die Politiksparte in der Zeitung. Ich glaube, dass „Sunday Bloody Sunday“ Leute dazu gebracht hat, sich über den Blutsonntag in Nordirland zu informieren, die nicht genuin politisch interessiert sind.
Wenn also ein hartes Thema zugänglicher wird und ein Umdenken bewirkt – dann ist Vereinfachen etwas Großartiges.
Wenn Leute jetzt zum Beispiel unseren Song „Dear Mr. President“ hören und sich deswegen über Korruption in Usbekistan informieren, ist das ein guter und wichtiger Schritt.
„Uncensored Playlist“ untermauert einmal mehr, dass Kreativität oft das reichweitenstärkste Mittel ist, um auf gesellschaftliche oder politische Konflikte aufmerksam zu machen. Weshalb hat sich das Projekt aus eurer Sicht auf alle Fälle gelohnt?
Es ist doch absurd – unsere technischen Möglichkeiten wachsen und wachsen. Und trotzdem wächst die persönliche Freiheit mancherorts kaum. Umso wichtiger ist es, zu zeigen, dass man die Wahrheit nicht auf stumm schalten kann.
Früher versteckte man geheime Botschaften in hohlen Büchern. Heute nutzen wir Popmusik.
Wir machen etwas Neues, das so besonders ist, dass Menschen darüber sprechen. Und auf einmal ist ein Thema omnipräsent. Exil-Journalisten landen in den Top-10-Charts des Landes, das sie einst verjagt hat. Dann ist Kreativität stärker als die chinesische Firewall. Es gibt in der digitalen Welt so viele Dinge, die wir entdecken können. Plötzlich wird Music Streaming zu einem Spielplatz, auf dem alles erlaubt ist. Ich glaube, jede Plattform bietet uns Möglichkeiten, von denen wir gar nicht wissen, dass wir sie haben. Wir haben einfach nur eine Tür geöffnet. Und die Resonanz war großartig. Das zeigt, dass jede Diktatur angreifbar ist und dass Kämpfen sich lohnt. Und idealerweise inspiriert das jemanden, ein neues „Schlupfloch für die Wahrheit“ offenzulegen, von dem wir alle jetzt noch nicht wissen, dass es existiert.
Gibt es ein Follow-up zum Projekt? Wie geht es weiter?
Die Playlist spielt immer noch. Gerade vor ein paar Wochen haben wir mit „The Crackdown“ von Chang Ping (Exil-Journalist aus China) einen neuen Song hochgeladen. Reporter ohne Grenzen ist in Kontakt mit weiteren Journalisten, aus weiteren Ländern. Lucas steht bereit, um weitere Songs zu schreiben. Die „Uncensored Playlist“ ist nicht einfach ein Projekt. Sie ist ein neues Tool gegen Zensur. Und es läuft weiter. Unter dem Radar.
Mehr zu The Uncensored Playlist:
Mit rund 250 Besucher*innen und 8 Präsentationen von Talents, Live-Musik...
Der Art Directors Club für Deutschland (ADC) integriert die ADC...
Morgen startet der ADC Talent Award 2025. Mit einer Teilnahme...