„So Future“ – Erfolgreicher Auftakt für den ADC Creative Club Hamburg
Mit rund 250 Besucher*innen und 8 Präsentationen von Talents, Live-Musik...
Erstmalig wurde im Rahmen der ADC Award Show der 'Willy Fleckhaus Preis' verliehen. Die Jurymitglieder der Editorial Juries aus dem ADC Wettbewerb haben den Sonderpreis für herausragende Magazinprojekte an das Migrant Journal verliehen. In sechs Publikationen belebt das Team den Begriff 'Migration' thematisch neu. Christoph Miler stellt das Projekt im Interview vor.
Welche Themen behandelt das „Migrant Journal“?
Migrant Journal ist eine auf sechs Ausgaben limitierte Publikationsreihe, die sich mit den unterschiedlichsten Formen von Migration auseinandersetzt. Es geht in der Publikation nicht nur um menschliche Migration, sondern auch um die Bewegung von Waren, Information, Kapital, oder gar von Pflanzen und ganzen Landschaften.
Die einzelnen Ausgaben sind zunächst monothematisch angelegt und behandeln entweder räumliche oder konzeptuelle Themenkomplexe wie Migration im Meer, in der Luft, in ruralen Gebieten, innerhalb des Finanzsektors oder der Mikrobiologie. Die einzelnen Themen einer Ausgabe sind dabei sehr divers, weil wir versuchen, unterschiedlichen Perspektiven aus den unterschiedlichsten Disziplinen Raum zu geben.
So kommen in unserer letzten Ausgabe „Foreign Agents“ – die kulturelle Migration als übergeordnetes Thema behandelt – in etwa Beiträge über die internationale Sprache Esperanto, digitale Bildmigration, die Veränderung von lokalen Speisen und Getränken durch Kriege, sowie ein Text über die Produktionsketten des Internethändlers Alibaba zusammen.
Wie entstand die Idee dazu? Stellt ihr euch kurz vor?
Die Idee für Migrant Journal entstand im Herbst 2015, zum Höhepunkt der sogenannten Migrationskrise. Wir empfanden den Migrationsdiskurs in der Politik und in den Medien zu dieser Zeit als äusserst zugespitzt, polemisch und polarisiert. Das vorherrschende gereizt-aggressive Klima liess kaum Raum, um der Komplexität des Themas mit der notwendigen Tiefe zu begegnen.
Migration wurde mit Flüchtlingen, Illegalität und der Ausbeutung von Sozialsystemen gleichgesetzt. Die Bewegung von Menschen wurde dabei von der Bewegung von Geld, Gütern, Informationen oder kulturellen Fragmenten entkoppelt und die mannigfaltigen globalen Wechselwirkungen unterschiedlichster Migrationsformen ignoriert. Wir wollten diesem reduzierten Diskurs etwas entgegensetzen, das Wort „Migration“ appropriieren, neu besetzen und (wieder)beleben, um Räume und Plattformen für Gespräche und Gedanken zu schaffen, die das Thema in seiner herausfordernden Vielschichtigkeit akzeptieren und thematisieren.
Wir wollten das Thema „Migration“ wieder öffnen und neu besetzen.
Die Gründungsmitglieder von Migrant Journal sind Justinien Tribillon (Urbanist, Researcher und Autor aus Paris, in London lebend), Catarina de Almeida Brito (Architektin aus Portugal), sowie Isabel Seiffert (Deutschland) und Christoph Miler (Österreich), die gemeinsam das Schweizer Designstudio Offshore führen. Nach der zweiten Ausgabe hat Catarina unser Team verlassen, dafür sind Dámaso Randulfe (Architekt, Autor und Künstler aus Spanien, in London lebend) und Michaela Büsse (Designforscherin aus Deutschland, in Basel lebend) dazugestossen. Migration ist also auch stark in die Biografien unseres Teams eingeschrieben – so lebt in etwa heute niemand von uns in dem Land, in dem er geboren wurde.
Wieso braucht es ein Magazin zum Thema?
Die Soziologin Saskia Sassen fasste einmal kurz zusammen, was wohl auch einer der Kerngedanken von Migrant ist: „Migration passiert nicht einfach zufällig, sondern sie wird produziert“. Migrant Journal erforscht die Mechanismen und Motive dieser Produktion. Dabei ist Migrant Journal der Versuch, das Konzept „Migration“ wieder zu öffnen, es globaler zu erfassen und starken Ideen aus unterschiedlichsten Disziplinen Raum zu geben. Wir hatten im Herbst 2015 das Gefühl, dass solch eine Plattform fehlt. Deshalb riefen wir die Publikationsreihe ins Leben.
„Migration passiert nicht einfach zufällig, sondern sie wird produziert.“
Aus welchem Grund habt ihr euch für eine so hochwertige Aufmachung entschieden?
Das hat unterschiedliche Gründe. Einerseits lag uns viel daran, durch die Gestaltung eine Leseerfahrung zu generieren, die die Leser in die oft längeren und vielschichtigen Texte hineinzieht. Materialität, Farbigkeit, Textur, Dramturgie spielen dafür eine wichtige Rolle. Dabei würden wir allerdings nicht sagen, dass die „hochwertige“ Aufmachung mit „Exklusivität“ oder gar „Luxus“ verwechselt werden sollte. Denn die Gestaltungsparameter in Migrant speisen sich immer aus inhaltlich-thematischen Ankerpunkten.
So kommt der metallische Bronzeton der ersten Ausgabe (Across Country) in etwa von der Referenz der Farbigkeit und Materialität von Erde und Steinen oder das metallische Blau-Silber der zweiten Ausgabe (Wired Capital) von der Materialität von Kabeln und Sendemasten.
Darüber hinaus ist es eine der grundlegenden Absichten von Migrant Journal, bestehende Seh- und Deutungsgewohnheiten rund um das Thema Migration zu hinterfragen. Die gewählte Ästhetik spielt dafür eine wichtige Rolle. Hätten wir uns dem Thema mit einer visuellen Sprache genähert, die bestehende Erwartungshaltungen bestätigt, hätten wir wohl eine Chance verpasst, auch über diese Ebene für neue Denkanstösse zu sorgen. Aus dem gleichen Grund verwenden wir übrigens auch ungewöhnliche kartographische Darstellungen und verfremden die Farbigkeit unseres Bildmaterial.
Das „Migrant Journal“ ist seit 2016 erstmalig erschienen und wurde jetzt mit dem Willy Fleckhaus Preis beim ADC Festival 2019 ausgezeichnet. Was bedeutet es für euch?
Der Preis kam ehrlich gesagt unerwartet. Um so grösser ist aber unsere Freude darüber.
Was verbindet ihr mit Willy Fleckhaus?
Wir kennen Willy Fleckhaus seit unserer Studienzeit und verbinden mit ihm vor allem visuell ausdrucksstarkes Design für zeitgenössische und gesellschaftlich relevante Inhalte. Seine Arbeiten für Twen (wovon ja wunderbarerweise auch eine Ausgabe in der Trophäe steckt!) und den Suhrkamp Verlag sind heute noch eine Referenz.
Im digitalen Zeitalter wird Print und Editorial mehr und mehr exklusiver und hochwertiger denn je. Wohin bewegt sich die Branche?
Leider sind wir kein Orakel, aber es ist davon auszugehen, dass sich wohl vor allem jene Publikationen an Beliebtheit erfreuen werden, deren Stimme inhaltlich unverzichtbar ist und/oder deren analoge gestalterische Form einen Mehrwert für den Leser mit sich bringt, den er im digitalen Raum nicht erfahren kann.
Aktuell beobachten wir ausserdem den anhaltenden Versuch, analoge Publikationsformen in einen geeigneten digitalen Rahmen zu übersetzen. Dieser Arbeit wird wohl in Zukunft an Relevanz gewinnen. Zuletzt wollen wir aber betonen, dass wir an eine Gleichzeitigkeit von analogen und digitalen Editorialprodukten glauben; die beiden Medien müssen keine Gegner sein, sondern können sich durch ihre unterschiedlichen Stärken und Schwächen auch auf sinnvolle Weise ergänzen.
„Print und Digital müssen keine Gegner sein. Sie können sich auch auf sinnvolle Weise ergänzen.“
Print is not dead. Gilt das (noch)? Weshalb? Was können Bücher, Magazine und Gestaltung, was das Netz nicht kann?
Eine Generalisierung als Antwort auf diese Frage fällt schwer. In unserem Fall hatten wir die Absicht, mit unserem Publikationsformat auch ein Archiv zu schaffen, das die momentane Situation reflektiert und auch noch in einigen Jahren (und vielleicht sogar Jahrzehnten) zugänglich ist.
Diese Form der Langlebigkeit ist eine Stärke von Print, die es im Netz so noch nicht gibt. Inhalte, die beispielsweise vor 10 Jahren online gestellt wurden, sind heute oft nicht mehr auffindbar, technisch veraltet, funktionieren nicht mehr oder wurden aus unterschiedlichsten Gründen schlichtweg offline genommen. Darüber hinaus können Faktoren wie Materialität, Bindung, Textur und Formatgrösse die Leseerfahrung natürlich auf eine Weise stärken, die im Netz so noch nicht simuliert oder durch ähnliche Gestaltungsparameter ersetzt werden kann.
Langlebigkeit ist eine Stärke von Print, die es im Netz so noch nicht gibt.
Politik und Kreativität – funktioniert das? Wie funktioniert das?
Die Symbiose aus politischem Engagement und Kreativität kann bestimmt eine gewisse Schlagkraft entwickeln und mitreissen. Wenn in etwa eine Frau während einer Vietnamkriegsdemo 1967 in Washington eine Blume in den Gewehrlauf eines Soldaten steckt ist das mutig und politisch, aber es ist auch kreativ, weil sie eine Form des Widerstands erfindet, die vorher noch nicht existierte. Das inspiriert und eröffnet neue Denkräume.
Möchtet ihr explizit politisch sein oder spielen die aktuellen Entwicklungen bei euch redaktionell keine Rolle?
Eine unserer Grundüberlegungen gleich zu Beginn des Projektes war, keine tagesaktuellen Entwicklungen auf journalistische Weise zu thematisieren. Einerseits ist der halbjährliche Publikationsrhythmus für solch ein Vorhaben zu langsam und andererseits wollten wir von Anfang an auf einer übergeordneten Ebene agieren, wo aktuell relevante Themen zwar als Ausgangspunkt dienen können, diese dann aber auf ihre grundlegenden Ursachen und weiteren sozialen, politische oder ökonomischen Zusammenhänge abgetastet werden.
Uns ist dabei auch an keiner expliziten politischen Agenda gelegen – ganz im Gegenteil, es geht uns bei der Auswahl unserer Artikel immer auch um die Darstellung der unterschiedlichen Positionen, Denkrichtungen und Argumente in all ihren Facetten. Dabei ist natürlich nicht abzustreiten, dass wir persönlich eher linken Denkrichtungen zugewandt sind, die nationalstaatliche Grenzen als sozio-politische Konstrukte begreifen und die aktuellen Entwicklungen Richtung Abschottung, Populismus und Nationalismus für überaus gefährliche halten.
Wie findet ihr eure Themen?
Die Leitthemen für die sechs Ausgaben (Across Country, Wired Capital, Flowing Grounds,…) fanden wir durch interne Diksussionen und Redaktionssitzungen, in denen jedes Teammitglied Vorschläge machte. Da wir das Projekt auf sechs Ausgaben beschränkt haben, ging es bei der Themenfindung auch darum, den Fokus zwar spezifisch auf ein Feld zu legen, gleichzeitig aber auch genug Offenheit zuzulassen, um unterschiedlichsten Denkrichtungen aus den unterschiedlichsten Disziplinen Raum zu geben. Als sich das Projekt dem Ende näherte, war es uns ausserdem auch wichtig, kein relevantes Metathema innerhalb des Migrationsdiskurses auszulassen.
Die einzelnen Artikel innerhalb der Ausgaben von Migrant Journal kamen dabei auf unterschiedliche Weise zusammen. Einerseits starteten wir für jede Ausgabe eine Aufruf zur Einsendung von Artikeln, aus denen wir dann die stärksten und passendsten auswählten. Zu Beginn war die Anzahl der Einsendungen noch überschaubar (20–30), gegen Ende nahm sie allerdings herausfordernde Ausmasse an – so erhielten wir für die letzte Ausgabe in etwa um die 180 Artikelvorschläge, aus denen wir auswählten.
Auf diesem Weg kamen in etwa zwei Drittel der Inhalte für eine Ausgabe zusammen. Darüber hinaus kontaktierten wir aber auch Menschen, deren Projekte und Ideen uns bekannt waren und von denen wir wussten, dass sie inhaltlich passen würden. Und zuletzt produzierten wir Artikel auch selbst, wenn wir das Gefühl hatten, dass bestimmte Aspekte eines Themas in einer Ausgabe noch nicht beleuchtet wurden.
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