© Arne Lesmann
30. Januar 2019

Textpresso. Wort(e) zum neuen Jahr

Die ersten Prognosen unserer Branche für 2019 sind da: Der Megatrend „Haltung“ wächst weiter, echter Content wird noch wichtiger. Audio bekommt eine neue Rolle und künstliche Intelligenz ist das, was alle beschäftigt. Aber was heißt das für den Text in der Kommunikation? Imke Jungnitsch leitet die ADC Seminare zum Thema Text. Sie verrät uns im Gastbeitrag, welche Worte das neue Jahr mit sich bringt.

„Wer liest denn noch Text? Inzwischen geht es doch nur noch um die Bilder, oder?“ fragte mich eine Freundin aus der Branche letzte Woche. Ich überlegte. Glücklicherweise fiel mir ziemlich schnell die großartige Nike-Kampagne „Dream Crazy“ mit Colin Kaepernick ein und vor allem die Headline in seinem legendären Post: Believe in something. Even if it means sacrificing everything. Ein Hauch von erhabenem Heldentum durchweht den Raum. Wahre Worte mit wahrer Größe. Auf den Punkt gebracht in einer Zeile. Oh ja, wir brauchen Text. Und wie.

Liebe Kreative und kreative Texter, „Hört nicht auf zu träumen“ (VW), “Open your world” (Heineken) und schaut Euch “All the things that we share“ (TV2 Denmark) an, falls Ihr je an der Bedeutung von Text für unsere Kommunikation zweifeln solltet. Was gute Kreation eint, ist die Metaebene, die den Blick über den Horizont hinaus leitet und einen echten, ideellen Mehrwert bietet. Text bringt diese Idee so auf den Punkt, dass sie jeder wiederholen kann. Eine starke Kampagnenline bündelt die unterschiedlichen Kommunikationsmaßnahmen unter einem  Dach und geht in den Sprachgebrauch der Zielgruppe über. In Zeiten des Multichanneling ist der Text zur Idee wichtiger denn je!

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TV2 Denmark-Kampagne “All the things that we share“
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Die Heineken-Kampagne „Open your world“
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Nike-Kampagne „Dream Crazy“

Die Kampagnenline bleibt. Was kommt?

Nicht erst seit der vielprämierten Edeka-Kampagne wissen wir: Ohne Vielfalt wäre Deutschland ärmer – und unsere Sprachlandschaft auch. 2019 bringt nicht nur einen neuen Texttrend für unsere Kommunikation mit, sondern viele. Das Zukunftsinstitut* sieht unsere Gesellschaft auf dem Weg zur „Wir-Kultur“. Das heißt, es gibt immer mehr kleine Communitys und damit auch mehr „Fachsprachen“ mit Ausdrücken, die wir vielleicht nicht mal mehr verstehen. Neulich wurde ich mit dem Wort „flexen“ konfrontiert und ich hatte nicht den Ansatz einer Ahnung, was das bedeuten könnte (für alle, die nicht viel mit Teenagern zu tun haben – flexen heißt „angeben“.)

Die Diversität unserer Gesellschaft ist in unserer Sprache angekommen.

Das Langenscheidt Lexikon der Jugendsprache 2019* zeigt, dass die Diversität unserer Gesellschaft längst in die Sprache der Generation Z eingezogen ist. Worte mit englischen, türkischen und digitalen Wurzeln wie Babo, verbuggt, copypasten finden sich hier wieder. Der Rahmen der deutschen Sprache bricht auf. Eine echte Chance für uns Texter, sich von andere Sprachen inspirieren zu lassen und neue Worte für unsere neue, internationale Gesellschaft zu schaffen. Zum Siegerwort der Jugendsprache 2019 wurde übrigens der Begriff „Ehrenmann bzw. Ehrenfrau“ gekürt – was sich mit den Wunsch der Generation Z nach mehr Haltung und echten Werten bei den Unternehmen deckt. In den letzten Jahren haben bereits viele Kampagnen Haltung gezeigt und dies mit einem starken Satz manifestiert, wie z.B. Reporter ohne Grenzen mit der „Uncensored Playlist“ und #truthfindsaway. Auch 2019 wird uns sicher wieder mit Statements überraschen, die Kopf und Augen öffnen.

Von der Wir-Kultur zur Wir-Sprache

Damit die Wir-Kultur auch das Team im Unternehmen stärken kann, müssen wir unsere Sprache aktiv verändern. Konstruktive Kritik, die aufrichtet und nicht abwertet. Ein offener wertschätzender Dialog auf allen Ebenen verbessert das Klima und die Ergebnisse.

In unseren BOOST Kreativseminaren trainieren wir mit unseren Teilnehmern deshalb nicht nur die Ideenfindung, sondern auch die konstruktive Bewertung im Team. Oft sind es marginale Änderungen der Sprache, die einen großen Effekt haben. Dazu gehört zum Beispiel, die Arbeit eines Kollegen mit den Worten „Ja, und“ plus Verbesserungsvorschlag zu ergänzen, statt mit dem typischen „ja, aber“ zu kritisieren und dem anderen den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Mehr Emotion ist mehr –

auch in unserer Kommunikation

Eine echte Meinung von echten Persönlichkeiten – das ist es, was die Menschen an Influencern so fasziniert. Sie schreiben wie sie sprechen, assoziativ und oft lautmalerisch, vor allem aber hochemotional. „Das Zeitalter der Emotionalität ist angebrochen“ beschreibt das Zukunftsinstitut diesen Trend in seinem Buch „Siegeszug der Emotionen“. Die Generation Z findet jemanden nicht nur gut, sondern „feiert ihn“. Sie ist nicht einfach glücklich, sondern „unfassbar happy“. Die superlativierte Höchst-Emotion braucht nur wenige Silben um ihren Glückszustand auszudrücken. LOL. Sind ausgerechnet wir, das Volk der Dichter und Denker, der Rechner und Techniker auf dem Weg zur hyperemotionalen Sprache in Kurzform? Wie emotional wird unsere Sprache 2019?

Kurz, kürzer, krz

In einer Zeit, in der wir keine Zeit mehr haben, wird auch die Sprache immer ungeduldiger. Texte, die keiner lesen muss, sondern auf den ersten Blick sehen kann, sind klar im Vorteil. Der Anspruch, mit möglichst wenigen Worten viel zu sagen, ist nicht neu in der Kommunikation und hat einen wissenschaftlichen Grund: Bei einem 7jährigen Kind setzt das Verständnis nach dem 8.Wort aus, bei jedem Erwachsenen hört das Interesse nach dem 11. Wort auf. Die meisten Hashtag Kampagnen kommen sogar mit deutlich weniger Worten aus (#MeToo.) Wie kurz wird Sprache 2019? Wird die Schlagzeile zum Schlagwort? Oder schaffen es neue Wortkreationen, Inhalte noch mehr zu verdichten?

Der Podcast des Deutschlandfunks* stellt die Frage „Treiben die Medien Schindluder mit der deutschen Sprache?“ Ja, findet ein empörter Anrufer. Die falsche Nutzung von Superlativen gehe ihm schwer auf die Nerven. Nein, finde ich. Es ist gut, dass unsere Sprache von uns weiter gedehnt, gedrechselt und entwickelt wird. Das zeigt, wie lebendig sie ist! Ist es nicht das gute Recht der Generation Z (und von uns Kreativen) neue Worte zu kreieren, um schneller zu kommunizieren und mehr Spaß dabei zu haben? Mit dem Rap-Song „Hör auf Deine innere Stimmo“, #fürimmo, wurde der Spot von Immowelt das beliebteste YouTube Video 2018. Sicher nicht nur aufgrund der Kampagnenline, aber auch. Der Immospot zeigt auch – genau wie die BVG-Oper und der Iceland -Spot #NoPalmOilChristmas – dass die langen, poetischen Texte immer noch ihren Platz in der Werbung haben: im Song und im online-Film.

Die assoziativen, schlagwortartigen Textmomentaufnahmen in den sozialen Medien haben den positiven Effekt, dass sich viel mehr Menschen am Dialog beteiligen. Wo es erlaubt ist, Sätze unvollendet zu lassen und sich in Wort- und Gedankenfetzen auszudrücken, schwindet die Hemmung zu schreiben. Das heißt für uns Kreative, dass es 2019 viele neue Text- und Wortkreationen geben wird, die vielleicht sogar unsere Zielgruppe selbst verfasst hat. Ob lyrischer Songtext, starkes Statement oder emotionale Wortkreation:

Der wichtigste Texttrend für 2019 ist, das zu sagen, was wirklich wichtig ist.

So, wie es noch nie jemand gesagt hat. Aber so, dass es jeder versteht. Oder in kurz: Textjetzt. DIY.

 

Imke Jungnitsch – Trainerin für Text und Ideenfindung

Das nächste ADC Seminar Text: Campaign mit Imke Jungnitsch findet am 01. & 02. April in Berlin statt.

boost-seminare.de

*Quellen:

https://www.zukunftsinstitut.de/dossier/megatrends/

https://www.zukunftsinstitut.de/artikel/siegeszug-der-emotionen/

https://www.deutschlandfunk.de/mediasres-im-dialog-treiben-die-medienschindluder-mit-der.2907.de.html?dram:article_id=438683

https://www.langenscheidt.com